Seit Wochen planen wir die Aktion #rotesKleid und plötzlich sagte meine Freundin, die Modedesignerin Lindy von stokx-patterns.com zu mir, dass sie „Angst vor roten Kleidern“ hat. Das ist spannend! Das geht anderen bestimmt genauso. Wir verabredeten uns, darüber noch mal ausführlich zu sprechen. 

Heute einfach mal ein bisschen mutiger als sonst

Zu Beginn des Gespräches erzählte sie mir, dass sie gerade dabei ist, eine rote Schürze zu nähen oder wie sie sagt „Es ist kein rotes Kleid, aber immerhin vorne rot“. Spannend, ich hatte ja erst einmal nur die Idee im Kopf mit verschiedenen Rottönen zu experimentieren und bei Hemmungen mit zurückhaltenden Rottönen zu beginnen, wie mit einem dezentem Weinrot. Doch Lindy hatte noch eine Idee:

„Man könnte auch mit einem roten Lippenstift oder einem roten Accessoire beginnen, schlug sie vor, „wie wäre es, sich zu überlegen, heute einfach mal ein bisschen mutiger zu sein, sich dafür zu entscheiden, es heute mal etwas anders zu machen als normal.“

Sind rote Kleider nur etwas für perfekte Frauen?

Eine gute Idee, doch zurück zur Angst. Was ist das, was uns davon abhält, gleich ganz in rot zu gehen oder ein signalrotes Kleidungsstück zu wählen? 

„Wir haben Angst, weil Rot enormen Mut erfordert. Rot zu tragen bedeutet, ich bin hier, ich habe etwas zu sagen. Das ist gar nicht so einfach, denn oftmals denke ich, dass ich chaotisch bin und das mein Deutsch schrecklich ist. Und überhaupt: wenn ich rot trage, dann muss ich zum Friseur? Wenn ich schwarz trage, bin ich unsichtbar und kann mir den Friseur sparen.“ 

Heißt das dann im Umkehrschluss, dass ich erst rot tragen darf, wenn ich perfekt bin? 

„Ach Meike, wenn ich höre, wie ich das sage, dann merke ich, dass das Quatsch ist. Aber genau deshalb ist die Frage so wichtig. Warum habe ich Angst? Manchmal hat man Angst, weil es eine automatische Schutzfunktion ist. Es ist ganz normal Angst zu haben, wir schützen uns damit. Aber was kann passieren? Wenn man ein rotes Kleid trägt, was könnte wirklich passieren?“

Wir können ganz unterschiedliche Ängste haben

Das war der Moment, wo ich vielleicht zu schnell eine Antwort parat hatte. Für mich war klar, mit welche Sorge Sichtbarkeit verbunden ist, denn ich habe schreckliche Angst davor, kritisiert zu werden. Man ist sichtbar und dann kommt jemand und sagt „was du gemacht hast ist doof“ oder schlimmer noch „du bist doof“. Interessanterweise war das aber etwas, wovor Lindy keine Angst hat. 

„Da habe ich eine ganz gute Schutzfunktion. Ich denke immer: warum glauben die Leute eigentlich, dass sie sich erlauben können, etwas über mich zu sagen. Ich kritisiere sie nicht. Warum denken sie, dass es ok ist, mich zu kritisieren. Meine „Leben-und-leben-lassen“-Philosophie schützt mich. Wir sind eben alle anders.“

Wie gut, dass mich Lindy daran erinnerte. Das ist etwas, was ich so oft zu anderen sage, aber was ich aber anscheinend immer noch nicht ganz verdaut habe. So hat eben jede ihre ganz persönlichen Ängste, deswegen fragte ich weiter nach:  Was könnte noch passieren? Das ist ja meine Angst, was ist deine Angst?

„Meine Angst ist einfach Stress. Ich habe so viele Aufgaben, so viele Bälle in der Luft. Ich möchte rote Kleider nähen, um sie zeigen zu können und wir wollen den Hacking-Workshop machen .. Ich möchte doch, dass es gut wird…“

Der Versuch alles gut zu machen, ist verdammt anstrengend

Aha, nun verstand ich es besser. Neben der Angst vor Sichtbarkeit, lähmte sie schlichtweg Überforderung. Der Versuch alles gut zu machen ist ja auch verdammt anstrengend! 

„Ich gebe mein Bestes. Und das ist ja auch ok, denn unsere Leute sind total nett. Ich glaube, das ich es trotz meines Special-Deutsch gut hinbekomme das zu vermitteln was mir wichtig ist: So kann man anfangen, so kannst du ein interessantes Kleid daraus machen. Das ist für mich ein riesen Spaß! Wenn man mit etwas Einfachem anfängt, dann wird das auch was. Es ist wie Kochen. Ich kann auch nicht gut, einfach so einem Rezept zu folgen, obwohl ich weiß, dass man in einer perfekten Welt erst mal das Rezept kochen sollte, so wie es da steht und erst später damit zu experimentieren. So habe ich das in der Vergangenheit mit Ratatouille erlebt …“

Was ja bekanntermaßen auch rot ist. 

„Man sollte Ratatouille kochen, wie es beschrieben ist. Wenn du es anders machst, ist es kein Ratatouille.“

Spannend, da musste ich noch mal nachfragen, denn ich war nicht sicher, ob ich das richtig verstanden hatte. Sollte Lindy wirklich gerade gesagt haben, dass wir ganz brav ihre Schnittmuster nähen sollen? Das erinnerte mich an mein Praktikum, das ich vor vielen Jahren bei ihr gemacht hatte. Sie war eine strenge Lehrmeisterin, aber genau deswegen lernte ich auch so viel. Und trotzdem habe ich gleichzeitig einen ganz anderen Eindruck, deswegen fragte ich sie, ob das denn auch für ihre Designs gelten würde. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr gefällt, wenn Leute daraus etwas ganz Eigenes machen. 

„Ohja, ich liebe es! Aber als Kontrollfreak interessiert es mich sehr, den Leuten etwas zu zeigen. Ich weise sie gerne darauf hin, wo man genau sein muss, wo man aufpassen muss und wo man dann spielen kann. Das liegt daran, dass ich viel weiß und wirklich viel Erfahrung habe – schließlich habe ich schon so viele Dinge gemacht. Ich weiß, wo man sich Mühe geben muss und an welchen Stellen auch ein „das geht so“ ok ist.“

 Ja, so leuchtete es mir ein. Ich bin wirklich unendlich dankbar dafür, dass Lindy ihr Wissen so großzügig teil, dass sie mir seit vielen Jahren so viel darüber beigebracht hat, wie Kleidung funktioniert und dass sie uns allen diese Erkenntnisse in Form von Schnittmuster weiter gibt. 

Ich will sehen, was vor mir ist

„Ich bin gleichzeitig blown away, wenn ich sehe, was für Fähigkeiten, die Leute in unserer Community haben. Da sind Leute, die können handgemachte Knopflöcher machen …“

Aber du machst super Schnittmuster, liebe Lindy! Du hast eben gesagt, dass du viel Erfahrung hast, weil du vorher schon viele Fehler gemacht hast. Ich finde ja auch, du bist eine super Designerin. Du weißt, was du kannst – aber warum willst du dann nicht im Rampenlicht stehen? 

„Ok, da ist zum Einen die Angst, sichtbar zu sein und dann ist es zum Anderen für mich einfach nicht wirklich interessant. Mich interessiert vielmehr, was vor mir ist. Ich schaue nicht in den Spiegel, ich schaue nicht auf mich. Ich will sehen, was vor mir ist. Ich bin besonders daran interessiert, wenn mir jemand erzählt, dass er dieses oder jenes tun will. Dann macht es mir Freude, wenn ich weiß, wie das geht und ich sagen kann „okay, versuche das mal“. 

Ja, das denke ich auch, dass es wichtig ist, sich aus der Komfortzone rauszuwagen, denn die Menschen sind schon daran interessiert, wer hinter einer Idee steckt. Sie wollen den Menschen hinter einem Projekt kennenlernen. Viele sind so müde, nur diese anonymen Marken zu sehen, deswegen lohnt es sich, auch mal ins Licht zu gehen und sich zu zeigen. 

„Weißt du, ich sitze hier in meinem schwarzen Hacker Top, meiner schwarzen Play Pants und meiner schlechten Frisur … das ist nicht wichtig. Aber mir ist schon klar – I have to step up.“

Genau deswegen machen wir zu dritt eine Aktion wie #rotesKleid. Wir machen es zusammen. Wir werfen unsere Kompetenzen in einen Topf und ermutigen uns gegenseitig, weil wir es jeweils großartig finden, was die jeweils andere macht. 

Es ist leichter von anderen zu schwärmen …

Kaum hatte ich das gesagt, fing Lindy an, von meinen und Constanzes Stärken zu schwärmen und von den Projekte, die wir schon gemeinsam gemacht haben. Das war schön zu hören, aber ich mußte dann doch noch anbringen, dass sie anscheinend lieber über andere oder über ihre Arbeit spricht, als über sich. 

„Ja, maybe. Obwohl meine Arbeit mich zeigt, glaube ich.“

Ja das stimmt, aber es ist eher indirekt und die Ergebnisse stehen im Rampenlicht und die Designerin im Hintergrund. Kann es sein, dass du lieber andere Menschen anziehst und ins Spotlight stellst, als dich? 

„Ok, I dont know. Da ist bestimmt ein bisschen Wahrheit darin, immerhin kennst du mich schon lange und gut, Meike. Ich bin sehr zielbewußt und ich denke, wenn ich eine Auto wäre, würde ich fahren, bis meine Räder abfallen. Aber ich habe gelernt – the hard way –  dass das keine gute Idee ist.“ 

Das heißt, es bleibt auch oft einfach keine Kraft mehr, dich um dich zu kümmern, weil du mit anderen Dingen so beschäftigt bist?

„Ja genau. Ich war so beschäftigt mit den roten Kleidern, denn ich hatte schon gemerkt, dass es gut wäre, wenn ich mich mehr im Vordergrund zeigen würde. Wenn sogar ich das mache, wenn sogar ich mich zeige, dann ist es auch für andere ok. Wenn sich selbst Lindy mit ihrer schrecklichen Frisur zeigt….“

Du hast dich überwunden, weil dir das Projekt wichtig ist und du es in die Welt bringen willst? 

„Ja und es ist auch transparent. Wir haben alle Probleme damit. Aber wir haben alle Potenzial und können üben. Wir müssen uns ja nicht plötzlich verwandeln, sondern können es Schritt für Schritt tun. Sich sofort zu verändern ist schon ein bisschen schizophren.“

Ja, und brutal. Das ist tatsächlich gar nicht nötig. Es ist genauso wenig ist es nötig, dass einige vorne und andere hinten stehen. Wenn alle vorne stehen, gibt es schließlich gar kein Vorne und Hinten mehr. 

Wir sollten uns öfter mal mit den Augen unserer Freundinnen sehen

„Wir stehen alle in ganz unterschiedlicher Art und Weise vorne. Es ist keine Konkurrenz mit anderen. Es ist eine Konkurrenz mit sich selbst. Ich kann nicht du sein und du kannst nicht ich sein. Ich freue mich, wenn du mit deinen Projekten vorankommst, weil ich sie großartig finde. Ich kann sowas nicht. Aber es ist etwas, was mich inspiriert. Das freut mich einfach.“

Ja genau! Wir drei ergänzen uns einfach wunderbar mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen, unserem Wissen aber auch mit unseren so unterschiedlichen Charakteren. Die Angst vor dem roten Kleid, die Angst sichtbar zu sein, ist eine Konkurrenz mit sich selbst. Wir sollten uns viel öfter mit den liebevollen Augen unserer Freundinnen sehen!