Das Thema Bekleidung nähen beschäftigt mich seit 2010, Feminismus schon viel länger. Doch politische Themen waren oft irgendwie theoretisch. Ich erkannte mich in ihnen wieder und nannte mich seit Anfang der 90er eine Feministin auch zu den Zeiten, in denen es nicht en vogue war, aber ich war eher Leserin als Vordenkerin. Als ich 2010 wieder zu nähen begann, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich mich mit einem politischen Thema beschäftige. Es sollte erst nur eine Beschäftigung, ein Hobby sein, dann sollte es ein konkretes Problem lösen, erst viel später erkannte ich, dass der Zusammenhang viel größer ist. 

20.1.2012

Ich sehe mich zum ersten Mal im Spiegel in einem selbst genähten Kleidungsstück, in dem ich wirklich eine gute Figur mache. Der Mantel ist noch nicht einmal fertig – die Ärmel fehlen noch und trotzdem bin ich total geflasht. Wow, das wird eine tolle Silhouette! Ich weine, weil eine riesengroße Last von meinen Schultern fällt. In diesem Moment freute ich mich einfach und war sehr sehr berührt, mich zu sehen, wie ich als dicke Frau eine richtig gute Figur mache. Ich beschließe noch besser nähen zu lernen, um nur noch Kleidung tragen zu können, in der ich mich richtig fühle. 

4.2. 2013

Ich schreibe den Blogpost „Nicht mehr dick“. Er ist noch ein bisschen diffus, aber er ist der erste Versuch zu verstehen, was ich seit Januar 2012 und dem Blick in den Spiegel immer öfter fühle. Er fühlt sich bedeutsam an und schlägt auch ein bisschen Wellen. Auch andere spüren, dass ich etwas Großem auf der Spur bin. Das ist der Zeitpunkt, in dem ich wirklich begann zu verstehen, dass das, was ich angeblich als Problem hatte, gar nicht mehr wirkliches Problem war. „Nicht mehr dick“ bedeutete nichts anderes als: ich kann anziehen, was ich will und habe nicht mehr das Kleidungsbeschaffungsproblem dicker Frauen, weil ich selbst nähe. Nicht das Dicksein war das Problem, sondern das Angebot in den Läden. 

9.5.2013

Wir Mitglieder des damaligen Me-Made-Mittwoch-Teams formulieren einen Text über Frauen und Nähen, um ihn bei der republica einzureichen. Er wird abgelehnt. Ich halte in den nächsten Monaten auf kleineren Konferenz einen ähnliche Vorträge um das Thema in die Welt zu bringen. 

2014 und 1015

schreibe ich ein Blog über Körperakzeptanz auf stern.de namens „Abschaffung der Problemzonen“. Ich finde es super, dass ich die Chance habe, auf so einem großen Medium zu schreiben und kämpfe aber gewaltig mit den Trollen, die es nicht zulassen wollen, dass Frauen ihren Körper akzeptieren und einfach zufrieden sind, so wie sie sind. 

2015 uns 2016

Ich bin mit dem Thema noch nicht durch und schreibe das Buch „Nählust statt Shoppingfrust“. Wie bei jeder Zusammenarbeit mit einem Verlag, muß ich viele Kompromisse machen. Das Buch ist nett, aber es hat lange nicht so viel Wucht wie unser Thesenpapier für die republica. 

Ab 2017

Aus dem Buch heraus entwickelt sich die Frage „Ja, wie mache ich das denn nun, passende Kleidung zu nähen“. Ich schreibe mein Buch „Passt perfekt“, in denen ich erkläre, wie frau Schnittmuster zu Maßschnittmustern macht und unterrichte das Thema nun hauptberuflich online und offline

März 2018

Weil klar ist, dass die Rechte von „Nählust statt Shoppingfrust“ in Kürze an mich zurückfallen werden, überlegen Constanze und ich, ob wir das Buch noch mal neu herausbringen. Wir entscheiden uns dafür, das Thema aufzugreifen, es „Abschaffung der Problemzonen“ zu nennen und besser zu machen, trinken 3 Tage lang Kaffee und entwickeln ein super Konzept. Ich frage mich noch heute, wo meine Mitschriften von damals liegen. 

2019

Weil ich ein gutes Verlagsangebot bekomme, schreibe ich zwischendurch das nächste Buch „Passt perfekt Plus Size“. Dies und die Pandemie von 2020 halten mich immer wieder davon ab, an „Abschaffung der Problemzonen“ weiter zu arbeiten. Die Pausen zwischen den Arbeitsphasen machen es schwer, den Faden immer wieder neu aufzunehmen.

Juli 2021

Constanze und ich beschließen einen Veröffentlichungstermin um dem Projekt wieder Ernsthaftigkeit zu verleihen: Januar 2022 soll es werden. Anfang des Jahres sind alle immer besessen von guten Vorsätzen und der Idee, Körperfülle zu verlieren. Ein guter Zeitpunkt, um einen Kontrapunkt zu setzen und aufzuzeigen, wie irrsinnig diese Idee ist.